Ulla Weichlein |

Warum ist es so still?

Vielleicht war es der Schnee, der es mir richtig bewußt machte. Spätestens nach dem Jahreswechsel fiel mir auf, daß ich nichts mehr über die Kulturschaffenden und die ganze Kreativbranche hörte. Höchstens mal eine Randbemerkung, die auf halbem Weg in die Welt erfriert. Und Deutschlandradio. Ein verschneites Rauschen im Hintergrund. Als im Februar der Frost kam war das Thema schon lange tiefgefroren.

Dann entdeckte ich in der Süddeutschen Zeitung was der Kulturbereich in Europa an Gesamtumsatz 2019 erwirtschaftet hat: 253 Milliarden Euro! Das ist mehr als die Automobilbranche (107 Milliarden) oder die Telekommunikation (187 Milliarden). Auf Deutschland entfielen allein 170 Milliarden Euro Umsatz. Die Kultur- und Kreativbranche war in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden.

Hurra, dachte ich, wir sind eine Wirtschaftsgröße, auf die es ankommt! Das muß alle aus dem Winterschlaf reißen - Artikel, Interviews, einen großen Öffentlichkeitsschub für den ganzen darbenden Kulturbereich, würde es jetzt geben.

Aber nach dem Blitzeinschlag kam kein Donner. Ich wartete, einen Tag, dann noch zwei, eine Woche - nichts. Stille. Die Presse schubste das Thema einfach vom Beckenrand und es ertrank leise zwischen all den Kinderthemen und Impfreihenfolgen und Können-wir-Ostern-in-Urlaub-fahren? Wow. So wichtig sind wir also wirklich.

Über 1,8 Millionen Kulturschaffende in Deutschland haben nicht gerufen: HIER! Sprecht mit uns. So geht es uns. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen! Aber - Demütigung, Kontrollverlust und existentielle Not kosten Kraft und machen klein.

Wenn wir lange über die weiße Fläche schauen entdecken wir eine Unregelmäßigkeit. Ein einzelner Fremdkörper in der Schneelandschaft. Darum sind wir so leise. Es ist die Vereinzelung. Wir sind Einzelkämpfende.

Besonders im Museum. Die meisten Veranstaltungen führen wir alleine durch. Selten kreuzen sich die Wege von Kolleg*innen. Die Eine kommt: der Andere geht. Von manchen kennt Eine nicht mal den Namen. Und da seit Jahren in vielen Museen selten bis gar keine Team-Besprechungen von unseren Leitungen anberaumt werden, ist auch der letzte Rest von Informationsfluss versickert. Ist das gewollt? Kein gutes Arbeitsklima? Keine Gemeinschaft? Keine Identifizierung mit dem Museum?

Das Auseinanderhalten schafft Mißtrauen und Konkurrenzgefühle. Und wenn auch noch Aufträge intransparent vergeben werden, verstärkt sich nur das Gefühl übergangen worden zu sein. „Du bist austauschbar“ steht sehr laut im Raum. Bei dieser Lautstärke verläßt Eine fluchtartig die Umgebung und sucht Stille. Betäubung. Kein WIR weit und breit.

Aktuell steht im Spiegel eine Bestandsaufnahme der Pandemie-Geschädigten. Endlich las ich wieder etwas von Kultur.

Wir sind etwa 1,8 Millionen Beschäftige im Kulturbereich. Über 550.000 Menschen davon sind schlecht bezahlte Solo-Selbständige - ein Begriff, den die Politik zu Beginn der Pandemie schnell aus dem Hut zauberte. Bis dahin kannte das Wort offenbar niemand. Und welche prekären Arbeitsverhältnisse nicht nur im Kulturbereich herrschen - hatte die Politik davon wirklich nichts gewusst? Immerhin profitieren die Budgets staatlicher Institutionen wie z.B. auch Museen, Theater, Opernhäuser davon und haben niedrigere Personalkosten.

Menschen wie wir wurden vom Spiegel aus ihren stillen Winkeln geholt und ein paar wurden befragt. Schlecht steht es um sie - um uns. Ein Dejà-vu aus früheren Artikeln vom letzten Jahr, noch wütender, verzweifelter. Die Wiederholung dreht sich im Kreis. Wie wir in unserer Stille. Dazwischen auf Twitter der Hashtag #sogehtesuns.

Was tut sich also seit dem großen Stillstand, dem Berufsverbot in der Vermittlung im Schatten der großen Kulturhäuser? Viele Kolleg*innen orientieren sich beruflich anders. Schlicht und leise verabschieden sie sich. Sie brauchen ihre Kraft für sich selbst.

Auch Herrn Brosda ist die schmerzhafte Stille aufgefallen und er bekannte in einem Interview kürzlich:

Ich nehme wahr, daß die Verwundungen tief sind
Carsten Brosda im Abendblatt 30.1.21

Es ist klar, warum diese Artikel schnell verschwinden. Niemand will mehr schlechte Nachrichten hören. Irgendwann sind schlechte Nachrichten auch einfach keine Nachrichten mehr. Sie sind unerwünscht. Und - niemand möchte sich entschuldigen müssen, dass Sie oder Er noch einem bezahlten Beruf nachgehen kann. Ja, vielleicht hätten wir einen anderen Beruf wählen sollen. Vielleicht führen in Zukunft Roboter durch die Ausstellungen? Die verlangen keine Wertschätzung. Nicht mal ein Honorar. Man kann sie einfach abstellen.

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