Wiebke Johannsen |

Flying Guides

Taxonomien der Vermittlung, I.Teil

Es ist Zeit, einiges festzuhalten. Bei dem ewigen Lüften fliegt ja alles davon. Und in diesem zweiten verordneten Stillstand, in dem unsereins nicht arbeiten darf, kann leicht das Gefühl für die zeitliche Ordnung abhanden kommen. Und dann sind da noch die Erinnerungen, die Mühe haben, sich an Dinge anzuheften, da der Grund der Dinge sich gerade so verflüssigt. Ich sag ja: Zeit, einiges festzuhalten.

Wer erinnert noch den Begriff Flying Guide?

Gab es sowas nicht im vor vielen Jahren schon geschlossenen, also eingesparten Hamburger Post- und Telekommunikationsmuseum? Ich meine, die Kolleg*innen verfügten nicht über supermenschliche aviatische Fähigkeiten, ihre Fortbewegungsart glich der von anderen menschlichen Bipedern. Das Adjektiv flying/ fliegend bezog sich vielmehr auf die Art der Wissensvermittlung.

Die Guides vermitteln zwischen den das Museum besuchenden Leuten und den dort ausgestellten Dingen, ungreifbaren Ideen und festgestellten Zahlen und Fakten. Sie tun das nicht vom Bildschirm, nicht von einer Kanzel oder einem Pult, nicht sitzend, sondern im Wandeln und auf An- und Nachfrage der das Museum Besuchenden. (Guide = Medium) Die Flying Guides sind recht eigentlich die eigentümlichsten, d.h. die am meisten das Eigene des Berufes verkörpernden (menschlichen) Museums-Medien: beweglich, unverankert, umherziehend, gänzlich frei. Der Begriff wurde vermutlich von Museums-Seite geprägt, um eine Abgrenzung möglich zu machen zwischen einer Wissensvermittlung im Auftrag und in festem zeitlichen und thematischen Rahmen und einer ambulanten Anlass-bezogenen Anrede. Möglicherweise spielte auch die Möglichkeit einer Einsparung von Aufsichtspersonal eine Rolle. 

Ist die Zeit darüber hingeflogen, über diese fliegenden Wissens-Händler*innen?

Bei einer Netz-Suche stieß ich nur auf die technische Seite der Flying Guides: auf Drohnen, die Städte überfliegen. Und auf Angebote für Audio Guides. Haben wir menschliche Museums-Medien da etwas verpasst? Oder kommen wir, wie Kultur, nicht vor, weil vermeintlich ebenso entbehrlich? 

Vor vielen Jahren, die Robotertechnik war nicht so hoffnungsvoll entwickelt wie heute, da wir uns auf Pflegeroboter freuen können und für kleines Geld filmende Flugobjekte erwerben, frug ich recherchehalber den Chef des Hamburger Museumsdienstes nach seinen Vorstellungen über gelungene Vermittlungsarbeit/ Museumspädagogik. Eine seiner Antworten war vermutlich paradox-pädagogisch: die Arbeit entspreche dem Versuch, dem Publikum einen Film von der Seite einsprechend zu erklären. 

Halten wir fest: es gibt in der Praxis ein Theoriedefizit und eine hartnäckige Ungleichzeitigkeit. Eine Geschichte der Museumspädagogik ist Desiderat. Wenn wir Museumspädagog*innen Flying Guides sind, erheben wir uns über materielle Bedingungen, befreien uns von Anspruchs-Anhaftungen und träumen hellwach von solidarischem Bodenpersonal und fairer Entlohnung. Dieser Flugtraum schob sich soeben vor meinen Flying-Guides-Vorschlag. 

Es hatte sich ja in mir die Vorstellung festgesetzt, sei es unter dem linken oder dem rechten Flügel, daß eine solches Tun ein dreifach-Nutzen hätte. Haus, Besucherschar und Frei-fliegende Kraft zögen daraus Nutzen. 

Dem Museums-Dienst und der Direktion des Museums für Hamburgische Geschichte schlug ich eine solche feste Anstellung während des ersten pandämischen Stillstandes vor. Ob es die sprachliche Paradoxie war, etwas Fliegendes festzustellen oder Gründe, die eher mit Rang- und Statusfragen zu tun haben, weiß ich nicht. Jedenfalls erhielt ich keine Antwort. 

Ich hätte Sie gern von Euch KollegInnen, den Freien, den Honorarkräften.

Ist es ein Ziel, für das es sich lohnt, zu kämpfen? Das Flying-Guide-Sein.

Ich selbst hätte sehr gern so ein kleines festes Pöstchen, eine Sicherheit in meinem Beruf – ohne mich beim musealen Sicherheitsdienst oder in ganz anderen Branchen zu bewerben. (Nein, ich möchte mich nicht „neu erfinden“.)

Bei ersten Gesprächen mit Kolleg*innen war das Meinungsbild geteilt: befürchtet wurde Degradierung mit schlechter Entlohnung einhergehend.

Und noch was: ich mag ja auch den Begriff Guide, sehe aber ein, daß das für die Vermittlung in Kunstmuseen nicht recht paßt, oder? 

Wie nennen wir uns? Guide, Freie, Mus.-Päds, Cicerones, Personal Knowledge Trainer? 

Und dann frage ich mich und Euch auch noch, wie wir das eigentlich nennen sollen, wenn Kolleg*innen in fünf oder sechs Museen arbeiten und zwischen den Häusern hin-und-her, ja, springen, radeln, fliegen? Ohne Bezahlung von Weg und Fahrt, so kennen wir das. 

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Kommentare

  • Anja Grosse

    16.11.2020 09:06 Uhr

    Um dafür oder dagegen zu sein, müßte ich genauer wissen, wie die Bedingungen für einen "flying guide" sind. Festangestellt? Für wieviel Stundenlohn? In welchem Umfang? Für alle Museen gleich, oder jedes individuell?
    Ich nenne mich Kunstvermittlerin, das gefällt mir von den sperrigen Beschreibungen unserer Tätigkeit nich am besten, passt natürlich nur für Kunstmuseen. Guide hört dich doof an. :)

  • Sabine Kramer

    16.11.2020 10:32 Uhr

    Wie wäre es mit ModeratorIn. Auf einer google Seite: wie wird man ModeratorIn habe ich folgende Berufsbedingungen gefunden:
    Überzeugungskraft
    Kommunikation
    Stimme und Persönlichkeit
    Souveränes, sympathisches Auftreten
    Interesse an verschiedenen Themen
    Empathie/Einfühlungsvermögen
    Ausdrucksweise
    Redaktionelle Erfahrung
    Klare Aussprache
    Das sind allesamt Eigenschaften, die wir mitbringen müssen.

  • Rebecca Junge

    16.11.2020 16:49 Uhr

    Ich habe den Beitrag jetzt zweimal gelesen und verstehe beim besten Willen nicht, worum es geht oder was ein Flying Guide sein soll. Ich vermute mal, deshalb gab es auch kein Feedback von den Museen - vielleicht haben die auch nicht verstanden, was gemeint war?

    Wie nenne ich mich? Kunstvermittler oder Museumspädagoge. Guide ist etwas sperrig, aber solche Anglizismen haben wir ja jetzt seit gut 25 Jahren, ich hab mich dran gewöhnt.

    Was meiner Ansicht nach eine Nachfrage wert ist, ist eine Bezahlung von Teilnahmen an Einführungsveranstaltungen zu neuen Ausstellungen etc., da die Vorbereitungszeit bei uns ja generell nicht in Rechnung gestellt werden kann.
    Für eine Art von Festanstellung bin ich persönlich definitiv nicht, mir ist es wichtig, Freiberufler zu sein.

  • Martina Raeder

    16.11.2020 19:43 Uhr

    Ich finde den Text charmant, intelligent und assoziativ. Feuilletonistisch, eher eine Kolumne. Sehr schön!

  • Isabel Meyn

    17.11.2020 13:30 Uhr

    Liebe Wiebke,
    liebe Kolleg:*innen,

    vielen Dank für den Text und für diese Vernetzung!
    Um die Verwirrung perfekt zu machen:
    Auf Französisch wird ein "Suivez la guide !" - ganz der Dienstleistungsbranche entsprechend - gut angenommen.
    Auf Französisch mache ich keine Führungen, denn wir sollen ja auch keine Führer:innen sein. Es sind eher conférences.
    Als Muspaed wäre ich dann Conférencière, ganz der Kunst- und Kulturbranche entsprechend.
    Assoziativ I: Andere Wege gehen, Alternativen "kuratorieren", weitermachen, nochmal nachfragen, gründen, (weiter) vernetzen...
    Assoziativ III: Weitere Analogien aus dem Tierreich.
    Assoziativ II: Diesen Raum bitte als Fläche sehen, beschriften oder beschreiben.

    Übrigens, Kund:innen und Gruppen mit Französischsprachigkeit haben sich seit Frühling '20 gar keine mehr blicken lassen.
    (*Lasst euch dieses Kompositum kurz auf der Zunge zergehen).

    Salut, fliegende Grüße und bis bald
    Isabel

  • Jens Germerdonk

    19.11.2020 14:39 Uhr

    Wunderbar der Text. Traumwandlerisch scharfsinnig. Danke Wiebke!

  • Jens Germerdonk

    20.11.2020 20:41 Uhr

    Gleich ist hier keine r und auch sonst nirgendwo. Ob eine r angestellt oder frei arbeitet - fragwürdig die Verhältnisse allemal. Zweifelsohne: wir zweifeln sie an - bevor wir verzweifeln. Wir Durchgerüttelten rütteln am - vermeintlich - gerüttelten Maß. Ohne maßlos zu sein, träumen wir mit scharfen Sinnen den unermesslichen Traum vom wunderbaren Fliegen.