Ulla Weichlein |

Meine Kandidatin von den Grünen

Heute im Nieselregen sagte eine Dame plötzlich: "Das ist Ihre Kandidatin", trat etwas zur Seite und deutete auf eine junge Frau neben sich. Linda Heitmann kandidiert für den Wahlkreis Altona für den Bundestag, ist viel auf Plakaten zu sehen und plauschte Heute im Park. Eigentlich passte es bei mir gerade nicht, aber ich nutzte trotzdem die Gelegenheit mit einer zukünftigen MdB die Situation der Soloselbständigen im Kulturbereich zu erörtern, im konkreten Fall, die der Kulturvermittlerinnen in Hamburger Museen.

Ich sprach das Thema rasch an und die Kandidatin hatte sofort Ihre Lösung parat: Die Einführung einer allgemeinen Sozialversicherungspflicht, die, so Ihre Idee, unsere soziale Absicherung sicher stellen könne.

Ich wandte ein, dass eine solche Pflicht für Freie jedoch zusätzlich hohe Kosten mit sich brächte, die durch unsere Einkommen nicht gedeckt wären und dass ergo eine solche Sozialversicherungspflicht für uns keine Hilfe wäre, sondern eine Katastrophe und ihre Antwort war… äh.

Das Wort "Mindestlohn" benutzte sie zwar nicht, sie sprach jedoch von einer Erhöhung der Löhne im prekären Bereich, die ihre Partei umsetzen wolle. Da Soloselbständige keine Löhne bekommen, sondern Stunden- oder Tagessätze, brachte ich das Phänomen des Arbeitgeberanteils an den Sozialversicherungskosten in die Diskussion ein. Ich verwies darauf, dass es bei Soloselbständigen einen vergleichbaren "Auftraggeberanteil" nicht gibt, dieser jedoch nötig wäre und ihre Antwort war… äh.

Die Kandidatin erklärte, die Grünen würden alle diese Fragen intensiv diskutieren und ich verwies darauf, dass die angesprochenen Missstände schon lange herrschten, in der Pandemie jedoch eskaliert waren und fügte hinzu, dass Soloselbständige inzwischen reihenweise Coronahilfen von 0 Einnahmen zurückzahlen müssten, aber statt einer Antwort auf eine Frage, die ich noch gar nicht hatte stellen können, stellte sie nun mir eine Frage. Nämlich wie ich zu einem Grundeinkommen stünde, das die Grünen in ihrem Programm "Garantiesicherung" nennen und meine Antwort war… äh.

Inzwischen bin ich wieder zuhause, habe mir was trockenes angezogen und ehrlich - "Garantiesicherung" klingt mir zu sehr nach Suppenküche. Ich versuchte mit "meiner Kandidatin" von den Grünen über gerechte Arbeitsbedingungen für einen ebenso wertvollen, wie anspruchsvollen Job zu sprechen und nicht über Almosen. Ich wollte mit ihr darüber sprechen, dass staatliche Institutionen wie z.B. Museen ihre Kernaufgabe durch Menschen erledigen lassen, deren Arbeitsverhältnissen man früher scheinselbständig nannte, aber es gelang mir nicht.

Die Dame, die mich angesprochen hatte und mir mit ihrem Schritt zur Seite "meine Kandidatin" von den Grünen präsentiert hatte, machte den Eindruck, dass sie noch wusste wovon ich sprach. Sie war etwas älter. Erwachsen. Sie arbeitet im Ortsverband. Sie ist keine Kandidatin. Vielleicht sollten wir mit ihr reden.

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Kommentare

  • Anja Große

    26.08.2021 07:56 Uhr

    Der Grund dafür, dass sich an unserer Lage nichts ändert, wird in diesem Gespräch sehr deutlich: niemand weiß darüber!

  • Klaus Grill

    30.08.2021 05:04 Uhr

    Da die im Text erwähnten Auftraggeber aus der behördlichen Sphäre oft dem Milieu der Grünen zugeordnet werden können, haben sie jedoch auch ein Interesse daran, nichts über die Lage des Muspaeds zu wissen, denn sonst müssten sie für deren Arbeit mehr bezahlen. Zwar nicht aus eigener Tasche, sondern aus einem Budget, das sie verwalten und für dessen Erhöhung sie ihrerseits möglicherweise streiten müssten. So ist es einfach bequemer im Zustand der unschuldigen Ignoranz zu verharren.

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